Mittwoch, 11. Januar 2023

DIE ORTHODOXIE IN DER MODERNEN GESELLSCHAFT

 (geschrieben 1978)



Der Mensch von heute, verliebt und fasziniert von Wissenschaft und technischem Fortschritt, geprägt vom Humanismus, ist kaum für die wahre Orthodoxie ansprechbar. Schon die Rede von wahrer Orthodoxie – die Exklusivität voraussetzt – missfällt ihm, weil er Rationalist ist.

Von Pseudoreligionen verzerrt und oft von vereinfachenden Überzeugungen in die Irre geführt, ist es ihm schwierig, die Orthodoxie zu verstehen. Viele Religionen kommen auf Hochtouren und werden vom modernen Leben mitgerissen. Um ihre Anhänger zu halten und andere Proselyten zu machen, wenden sie sich sozialen und altruistischen Aktionen zu. Unter dem Vorwand brüderlicher Nächstenliebe, entwerten sie das Gebot der Liebe Gottes. Ihr Glaube wird horizontal, abgeflacht auf Kosten der Transzendenz Gottes, der Glaubenserfahrung.

Wir leben derzeit in einer Zeit der Euphorie, der großen Glücks - und Friedensversprechen. Offensichtlich finden diese Worte und diese Verheißungen weder in den Daten der göttlichen Offenbarung noch in der Lehre der Propheten, noch der Apostel, noch der Väter ein Echo. Das sind illusorische Friedenspredigten – wie die falschen Propheten von einst, die „Frieden und Sicherheit“ predigten – und man muss sich nur umsehen, um zu sehen, wie falsch sie sind. Diese Verheißungen zu glauben, würde bedeuten, das Evangelium zu leugnen.

In all dieser Verwirrung, welchen Platz, welche Rolle spielt die Orthodoxie ? Dem Glauben, der Tradition, die unsere Väter uns überliefert haben, treu zu bleiben, sie in ihrer ganzen Reinheit weiterzugeben, das ist unsere wesentliche Aufgabe. Es sind daher nicht die Proselyten, die wir gewinnen wollen, noch das Wohlwollen oder Zustimmung unserer Zeitgenossen, sondern weder mehr noch weniger als die wahre und rettende Orthodoxie.

Wie ein Kap, das trotz der Wellen, die sich darauf brechen, und der Gewalt des Windes unempfindlich bleibt, wie der Leuchtturm, der die Schiffe auf ihrem Kurs leitet, so bleibt die Orthodoxie sich selbst treu, und was alle unsere Väter immer und überall geglaubt und gelebt haben, wir glaube und leben es auch.


Priestermönch Kassian

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